Stiefkindadoption: Adoption nach 2017 immer noch Realität

Berlin, den 05.05.2023

Von Janine Wiesemann

Seit dem 1.Oktober 2017 ist die Heirat für gleichgeschlechtliche Paare legal. Seit 2018 dürfen wir auch in der kirchlich, d.h. in der evangelischen Kirche, einen Gottesdienst anlässlich einer Eheschließung für uns beanspruchen. Traugottesdienste gibt es für uns nicht. Auch in der Kirche trauen sie uns nicht ! So musste ich 2020 meinen Sohn adoptieren und werde es im Jahr 2023 wieder tun müssen. Nicht nur die Kirche traut uns nicht auch der Rechtsstaat erlaubt uns zwar hinten im Bus zweiter Klasse mitzufahren, von der ersten Klasse sind wir aber noch meilenweit entfernt.
2017 dachte ich, endlich darf ich selbst darüber bestimmen, ob ich eines Tages meine Freundin heirate oder im modernen Stil in wilder Ehe verbleibe. Ich hatte endlich die Wahl. 2020 musste ich erkennen, dass die vermeintliche Liberalität in Deutschland nur oberflächlicher Natur ist. In ihren etablierten Strukturen bleibe ich Mensch zweiter Klasse. Mein Sohn wurde geboren. Ich musste ihn - trotz verheiratet mit einer Frau- adoptieren, warum habe ich bis heute nicht verstanden und dass das erst nach 6 Wochen auf Erden geht, noch weniger.
6 Wochen in denen wir hoffen, dass alles zur Geburt und direkt nach der Geburt gut verläuft. Was wenn nicht? Dann wäre mein Sohn zu seinen Großeltern mütterlicherseits (Witz!) gekommen, vor dem Gesetz hätte ich kein Anspruch gehabt. Jeder Mann, ob mit ihm außerehelich, ehelich oder auch nicht verkehrt wird, darf in Deutschland die Vaterschaft anerkennen. Ich, der ich zu fast jeden Kinderwunschtermin gegangen bin, der finanziell alles mitübernimmt, der jedes Mal hofft und bangt bin in meinem Leben nur Spieler auf der Ersatzbank. Die erste Wahl in Deutschland ist männlich!
Ein Mann kann vor oder nach der Geburt die Vaterschaft beim Jugendamt kostenfrei beantragen. Kein Notar, kein Jugendamtsbesuch und kein Familiengerichtstermin: Als erstes sucht man sich einen Notar. Alle Familienangehörigen Mama und Mami mittlerweile auch mein erster Sohn müssen zum Notartermin erscheinen. Die Schrift wird verlesen und beglaubigt. Die Kosten tragen wir natürlich selbst. Dann folgt der Besuch vom Jugendamt. Ich frage mich, wie oft das Jugendamt bei meinen Schülern im Brennpunkt jemals zuhause war. Kapazitäten, die eigentlich in Deutschland woanders gebraucht werden. Die Jugendamtsmitarbeiterin war - da wir in Berlin wohnen- sehr nett und machte gleich zu Beginn klar, dass sie nur für Theo da sei. Sollten nicht alle Kinder einen Anspruch darauf haben, dass das Jugendamt zu Beginn ihres Lebens wenigstens einmal in persona vorbeikommt? Am Ende des Besuches sagte sie uns, dass sie ihre Einschätzung so schreiben würde, dass wir nicht zum Familiengericht müssten. Mein Sohn wollte während ihres Besuches nicht mehr meine Arm verlassen. Das war für sie ein gutes Zeichen, so scheint es. Das Familiengericht entschied anders und ludt uns ein. Zwei Frauen, eine Medizinerin mit Doktortitel und eine Lehrerin, der Zoo musste vorgeführt werden. Die Sitzung dauerte 5 Minuten. Es ging ja nur darum zu sehen, wie solche Menschen aussehen. Nachdem sie uns dann noch ihre heteronormative Weltsicht im Sinne von sind sie sich sicher, heutzutage werden viele Ehen wieder geschieden…in meiner Lebensgruppe trifft das nicht zu… entließ sie uns mit den Worten: „Genießen sie ihren freien Tag!“. Meine Frau fuhr danach zur Arbeit und ich musste meinen Unterricht erneut umstrukturieren, verkürzen, strecken oder neu konzipieren wegen der Affenschau. Offensichtlich arbeitet diese Minderheit in ihrer Welt nicht. Willkommen im diversen Berlin.
Diskriminierung in Berlin existiert nur dann nicht, wenn man im richtigen Bezirk als Student oder Freelancer lebt und sich seine Chefs oder Kollegen aussuchen kann. Sobald man durch Familie gesellschaftlich verankert wird, schlägt dir die Diskriminierungswelle immer wieder ins Gesicht. Die Menschen in diesem System sind nicht 35 Jahre alt, trinken Latte Macchiato und tragen ein Käppi und einen Bart. Sie sind die nullachtfünfzehn Bürger, die ihr Wissen aus ihrer homogenen Gesellschaftsvorstellung entnehmen. Sich bereits tolerant erklären, wenn sie nur ein homosexuelles Paar oder Menschen kennen, das bedeutet über drei Ecken schon mal bei einer von Freunden ausgerichteten Party gesehen haben.
Schlussendlich hat es mich summa summarum ein halbes Jahr gekostet, einen Platz auf der Geburtsurkunde meines Sohnes zu ergattern. Same procedure as every year: 2023 kommt unser zweites Kind zur Welt und genau dasselbe erwartet uns wieder.